Album-Tipp: Adel Tawil - Spiegelbild, Bild: Bmg Rights Management (Warner)
Album-Tipp: Adel Tawil - Spiegelbild | Bild: Bmg Rights Management (Warner)

Album-Tipp | 11.03.2023 - Adel Tawil: Spiegelbild

Einst bei „The Boyz“, dann „Ich + Ich“, inzwischen etablierter Solokünstler: Auf seinem vierten Studioalbum setzt sich Adel Tawil schonungslos mit seinem „Spiegelbild“ auseinander.

Darauf, dass KünstlerInnen ihr jeweils neuestes Produkt als ihr „persönlichstes Album“ anpreisen, darf man inzwischen getrost Wetten abschließen. Wie eine derartige Plattitüde noch immer als Vermarktungsprädikat durchgeht, ist (nicht nur) mir ein Rätsel.

Im Falle von „Spiegelbild“ allerdings leiste ich Abbitte: Hier hat jemand schonungslos den Blick nach innen geworfen und sich, volkstümlich gesprochen, „nackig“ gemacht.

Das Album wurde geprägt von der Pandemie, von Isolation und Lockdown. Einer Zeit, in der sich auch Popstars „lost“ fühlten und allein waren mit ihren Dämonen und Gedanken. Als der Beifall der Leere wich, erkannte Adel: Nichts ist so laut wie die Stille der Einsamkeit. Keine Musik, kein Applaus, keine Anerkennung. Dazu bot sein Spiegelbild wohl auch wenig Anlass, denn Adel musste sich eines Tages eingestehen, dass er „kurz vor der Verwahrlosung“ stand. Und so fragte er den Typen im Spiegel: „Wie einsam bist Du eigentlich? Und wie soll Dein Leben jetzt weitergehen?“.

Das war der Auslöser für den Titelsong. Der wiederum gab die Richtung des Albums vor, denn alle Lieder gehen mit selbstkritischen Fragen einher: nach Sinn, Identität und - wie im Song „Labyrinth“ - danach, ob der Kompass des eigenen Lebens noch richtig eingestellt ist.

Spoiler: Vermutlich nicht! Zumindest die meisten von uns rasen auf einer von Breaking-news und immer neuen Trends gepflasterten Autobahn durchs Leben, anstatt runterzuschalten und die nächste Ausfahrt zu nehmen.

Dieses Thema hat Adel ebenso in mainstreamtauglichen Pop verwandelt, wie seine Selbstliebe („Stolz“), so manchen Irrweg („Autobahn“), den Traum vom Aussteigen („Niemandsland“) und wie durch das „Leuchten“ eines Sterns plötzlich Erinnerungen an verlorene Wegbegleiter wach werden.

Adel verpflichtet. In diesem Falle ist es die Selbstverpflichtung zu einem schonungslosen Blick auf sich selbst, der „Spiegelbild“ tatsächlich zu seinem bisher persönlichsten Album macht.

Beitrag von Heiner Knapp