In Ketzin wird gefischt. Die Lage mitten in der herrlichen Fluss- und Seenlandschaft der Havel legt dies auch nahe. Ketzin soll im 16. Jahrhundert der erste Ort in der Mark gewesen sein, der das Fischereirecht erhalten hat. Die Fischer-Gilde wurde 1738 gegründet; sie ist die älteste Gilde in der Stadt. An die Fischerei-Tradition erinnert auch das Fischerfest, das jedes Jahr im August drei Tage lang gefeiert wird. Legendär sind die großen Fischzüge an der Havelpromenade, nach denen fangfrisch Aale, Hechte oder Zander versteigert werden. Dem 2020er Fest hat allerdings Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Charlotte ist nicht nur in Ketzin bekannt. Auch Autofahrer, Fahrradfahrer und Fußgänger von weit her kennen sie. Denn Charlotte bringt alle sicher von einer Seite der Havel zur anderen. Die Fähre braucht vier Minuten für ihre Überfahrt zwischen Ketzin und dem Groß Kreutzer Ortsteil Schmergow. Der Fährmann spricht scherzhaft von einer Mini-Kreuzfahrt, bei der nur die Küche leider geschlossen ist. Weil derzeit viele Autofahrer der Baustelle auf der A10 ausweichen, bilden sich mitunter lange Warteschlangen. Untergegangen ist die Ketziner Fähre nur einmal – und daran traf sie keine Schuld. Gegen Ende des zweiten Weltkriegs sollte sie sowjetische Panzer transportieren. Gleich der erste war zu schwer und versenkte sie.

Lässt sich klimaschädliches CO2 im Boden speichern? In Ketzin sind Wissenschaftler des Deutschen Geoforschungszentrums, GFZ, dieser Frage acht Jahre lang nachgegangen. CCS nennt sich das Verfahren – Carbon Capture and Storage, also Kohlenstoff einfangen und lagern. In Ketzin soll es dafür besonders günstige geologische Voraussetzungen geben. Am Ende des Langzeitversuchs waren die Forscher der Meinung: möglich ist es. Sie merkten aber auch: politisch gewollt ist die Methode nicht. CCS hat sich nicht durchgesetzt. Das Verfahren ist allerdings nicht tot, sondern allenfalls im Koma, glaubt das GFZ in Potsdam. Die Versuchsanlage hat Ketzin überregional bekannt gemacht. Zu sehen ist davon mittlerweile nichts mehr, es wurde alles abgebaut.

Hier können Vögel noch in Ruhe brüten. Denn die zahlreichen Havelinseln von Ketzin stehen unter Naturschutz und dürfen nur in Ausnahmefällen betreten werden. Die Inseln sind ein Rückzugsort für streng geschützte Vogelarten wie den Kiebitz, den Schilfrohrsänger, den Großen Brachvogel oder das Tüpfelsumpfhuhn. Auch Fisch- und Seeadler brüten hier. Von einem Boot oder Kanu aus können sie mit etwas Glück beobachtet werden. Motorbetriebene Boote dürfen allerdings nicht überall fahren, wegen des Vogel- und Naturschutzes. Die schiffbaren Kanäle sind gut ausgeschildert.

Der Ketziner Ortsteil Paretz ist berühmt für sein Schloss. Friedrich Wilhelm III. ließ es für sich und seine Gemahlin, die legendäre spätere Königin Luise, bauen. Die beiden verbrachten dort mit der Familie oft die Sommermonate. Mit dem Bau des Schlosses wurde auch das Dorf umgestaltet. Paretz gilt heute als eins der schönsten Ausflugsziele in Brandenburg. Im Schloss können die Besucher die berühmten Papiertapeten bewundern. Einige wurden damals aus China importiert, andere in Berliner Manufakturen hergestellt.

Autos so weit das Auge reicht - mehr als 20.000 PKW stehen in Ketzin auf circa einer Million Quadratmeter Asphalt. Es handelt sich um einen der größten Auto-Umschlagplätze im Nordosten Deutschlands. Zugegeben: so idyllisch wie rund um die Havelinseln ist es hier nicht. Dafür finden gut 370 Menschen Arbeit. Das Unternehmen Mosolf aus Baden-Württemberg ist damit der größte Arbeitgeber in der Stadt. In Ketzin werden Neufahrzeuge verschiedener Hersteller zwischengeparkt und bei Bedarf an die Autohäuser ausgeliefert. Zudem werden Gebrauchtwagen für Händler aufgearbeitet und für den Verkauf vorbereitet.

Mit dem Zug ist Ketzin zurzeit nicht erreichbar. Aber das muss nicht so bleiben. Die Bahnstrecke Ketzin – Wustermark soll reaktiviert werden. Dafür sprechen sich so gut wie alle Kommunalpolitiker in der Stadt und dem Landkreis Havelland aus. Aber jetzt müssen sie – zusammen mit der Eigentümerin der Strecke, der Havelländischen Eisenbahn AG - auch die Wirtschaftlichkeit nachweisen. Sollte dies gelingen, könnte die Strecke in den Landesnahverkehrsplan aufgenommen werden. Dann würden irgendwann auch wieder Züge in Ketzin halten.

Für eine Kleinstadt gibt es erstaunlich viele Vereine in Ketzin: Allein neun Angelvereine und sieben Kleingartenvereine gibt es hier; außerdem 12 Sportvereine, vom Fußball über Dart bis hin zum Reiten kann man sich hier austoben. Beim Angeln geht es in Ketzin aber nicht immer ums Fischen im Wasser. Der Casting Club angelt im Trockenen. Dabei werden natürlich keine Fische gefangen, es handelt sich dabei um eine Art Zielübung mit der Angel. Das ist ein richtiger Sport mit Fans auf der ganzen Welt und Wettkämpfen bis hin zu Weltmeisterschaften. Und die Ketziner sind erfolgreich: 2019 gewannen sie bei der Seniorenweltmeisterschaft zwölf Gold-, sieben Silber- und neun Bronzemedaillen.

Bei Anglern sehr begehrt sind die Erdlöcher in den Ketziner Ortsteilen Paretz und Etzin. Die sind im 19. Jahrhundert entstanden: Für die Ziegeleien der wachsenden Stadt Berlin wurde massenweise Ton entnommen. Ab den 1920er Jahren ging der Boom zurück und war nach dem Zweiten Weltkrieg vollends verebbt. Manche Löcher wurden mit dem Schutt des zerbombten Berlins aufgefüllt, viele andere hat sich die Natur zurückgeholt, sie sind mit Grundwasser vollgelaufen. Vegetation und Tierwelt konnten sich ungehindert entwickeln, die „Paretzer Erdlöcher“ sind Teil des europäischen Vogelschutzgebietes „Mittlere Havelniederung“.

Wo gibt es noch so viel Tradition? Der „Coiffeur Hausknecht“ ist ein Familienbetrieb und besteht seit 101 Jahren. Es ist das älteste Unternehmen in Ketzin. Der Urgroßvater der heutigen Inhaberin hat das Friseurgeschäft 1919 gegründet. Es wird nun in der vierten Generation fortgesetzt. Auch die DDR-Zeit hat „Hausknecht“ als Familienunternehmen überstanden. Es soll Seniorinnen in Ketzin geben, die in ihrem ganzen Leben noch kein anderes Friseurgeschäft von innen gesehen haben. Und weil „Hausknecht“ stolz auf die eigene Geschichte ist, sind im Geschäft Friseur-Utensilien aus 101 Jahren zu bewundern.